Auf die innere Haltung kommt es an!
Sieben Kriterien und sieben Haltungen
Neben den sieben Kriterien, die einen Erprobungsraum beschreiben, lassen sich in jedem Projekt besondere innere Haltungen erkennen. Aus den Erfahrungen der bestehenden Erprobungsräume, der freshX-Bewegung in England und der pioniersplekken in den Niederlanden haben wir für die Erprobungsräume sieben Haltungen benannt, die in der organischen Entwicklung der einzelnen Projekte an verschiedenen Stellen vorkommen. Diese Haltungen beschreiben die Art und Weise, wie Projekte, die die sieben Kriterien aufweisen, gestaltet werden können. Sie spiegeln die „Logik“ hinter den Projekten und damit die innere Beteiligung der Akteure wider. Insofern sind Kriterien und Haltungen zwei Seiten einer Medaille. Erst zusammen entfalten sie eine Dynamik, die Denkweisen und Ansichten innerhalb und außerhalb von Kirche verändern kann.
Die eigenen Haltungen reflektieren
Im Kontext der Erprobungsräume ermöglichen die sieben Haltungen nicht nur andere Formen von Kirche, sondern können auch bereits bestehenden Projekten auf ihrem Weg durch unbekanntes Gebiet Orientierung geben. Sie helfen, Neues auszuprobieren und Gott, Glauben und Kirche an neuen Orten, in bisher kaum wahrgenommenen Ereignissen und Beziehungen zu entdecken. Sie helfen, mit Herausforderungen, die sich auf dem Weg ergeben, umzugehen. Werden sie bewusst thematisiert, wie dies etwa bei den Learning Communities geschieht, helfen sie auch, den eigenen Weg zu reflektieren und neue Perspektiven in verfestigten oder undurchsichtigen Situationen zu gewinnen.
Die Haltungen als Weg von Neugründung oder Neubelebung
Dabei beziehen sich die Haltungen wechselseitig aufeinander und bleiben in unterschiedlichen Phasen des Projektprozesses relevant. Die hier vorgeschlagene Reihenfolge geht von einem Modell-Prozess aus, der durchgängig von Gebet begleitet sein sollte: Wer Neues entdecken will, beginnt damit, hinzuhören, was Menschen in meinem Umfeld bewegt und was Gott mit mir in diesem Umfeld vorhat. So wird sichtbar, wie ich Menschen konkret Gutes tun, ihnen dienen kann. Daraus entstehen Beziehungen, die dazu führen, dass sich Menschen mit einer Überzeugung, einer Sache oder einem Projekt identifizieren und sich zugehörig fühlen. Diese Zugehörigkeit ist die Vertrauensbasis dafür, auch über Glauben zu sprechen und neue Formen auszuprobieren, wie Gottes Gegenwart erfahrbar werden kann. Wächst ein Projekt weiter, so werden gute Formen von Partizipation immer wichtiger: nach innen als Leiterschaft und Team, nach außen als Teil einer Kirche, die man mitgestaltet, indem man von anderen lernt und selbst andere inspiriert.
Prinzipdarstellung
#1 Hören
„Liebe Gott – und Deinen Mitmenschen wie Dich selbst“, fasst Jesus das wichtigste Gebot zusammen. Und im Gleichnis vom Barmherzigen Samariter wird deutlich: Unser nächster ist nicht immer der Mensch, der uns bereits nahe steht und mit dem wir auf einer Wellenlänge sind. Wir sind gewohnt, Menschen innerhalb von Sekunden einzuschätzen und reagieren häufig auch dementsprechend. Doch wird das kaum meinem Gegenüber gerecht.
Den Anderen ernst zu nehmen, bedeutet, ihm zuzuhören, seine Sichtweise zu verstehen und von ihm zu lernen. Wer ohne Hören meint, zu wissen, was für den anderen richtig ist, der dient nicht seinem Nächsten, sondern höchstens sich selbst. Und dann besteht die Gefahr, dass wir es verpassen, Gott in dieser Welt zu entdecken. Denn er wirkt oft gerade dort, wo wir es nicht vermuten oder erwarten.
Die Erprobungsräume beginnen und setzen sich fort mit einem ständig mehrfachen Hören:
- auf den Kontext meines Erprobungsraums;
- auf Gott, das, was ich von seinem Wesen und Absichten weiß, auf seine Impulse;
- auf meine Mitwirkenden im Team, in der Lebensgemeinschaft oder Dienstgruppe;
- auf die Kirche und was sie miteinander bestimmen soll
Die Pfarrerin Margarita Reinders aus Amsterdam bekam von Ihrer Kirche den Auftrag zur Gemeindegründung in einem nichtkirchlichen Stadtteil. Schnell erkannte sie, dass ihre bisherige Arbeitsweise hier nicht gefragt war. Ihre Lösung: Sie setzte sich regelmäßig in ein Café und lud andere Menschen an ihren Tisch ein. Nun kamen sie gegenseitig ins Gespräch und auch Margarita erzählte von ihrer Sorge, wie hier Gemeinde entstehen könne. Ihre Offenheit und offensichtliche Schwachheit ermunterte andere zum Gespräch über Gott und die Welt. So formte sich ein zunehmender Kreis von Menschen, die das Gespräch mit ihr schätzten – und gern halfen. Allmählich entstand eine neue Gemeinde…
Heute spricht sie gern davon, wie wichtig es ist, sich verletzlich und auf Augenhöhe zu zeigen. Niemand erwartet, dass wir vollkommen und frei von Zweifeln sind und alle Fragen beantworten können – auch nicht in Sachen Gott und Glauben. Vielmehr können wir auch auf die Erfahrungen, Einsichten und Ideen anderer vertrauen, wenn wir ihnen zuhören, und lernen dabei immer wieder nicht nur die Welt, sondern auch Gott und uns selbst neu kennen.
HÖREN kann in den Erprobungsräumen bedeuten:
- Auf Augenhöhe begegnen: Keine vorschnellen Rezepte entwickeln
- Zeit anbieten, zuhören, nachfragen, nachlesen und lernen
- Vertrauen investieren, Gemeinschaft pflegen und die Freiheit des anderen wahren
- Die eigenen Eindrücke stets reflektieren und erst dann handeln
- Hörendes Beten und den Impulsen mutig folgen
- Die andere Sichtweise wirklich verstehen wollen, vom Anderen her denken
#2 Lieben und Dienen
Dienen ist ein sperriges Wort. Es scheint Abhängigkeit voraus zu setzen und passt kaum in eine Zeit, in der Autoritäten kritisch betrachtet werden.
Wer dient, stellt sich nicht unbedingt „unter“ den anderen, aber an dessen Seite. Das bedeutet auch: Ich stelle mich mit meinen Vorstellungen erstmal „hinten an“. Ich sehe den anderen als geliebten Menschen. Beim Hören (Haltung 1) entdecke ich seine Bedürfnisse und nehme an seinem Leben Anteil. Ich versuche zum Beispiel trotz des fremden Musikgeschmacks oder der muffeligen Kleidung nicht auf Distanz zu gehen.
Lieben und Dienen erwächst aus einer dienenden Haltung. Es ist keine Methode. Unser Gegenüber merkt schnell, ob es uns bei unseren guten Taten eigentlich nur um den eigenen Erfolg geht. Helfen kann nämlich auch Ausdruck der Arroganz sein.
Lieben und Dienen macht nicht Halt an der Mitgliedschaftsgrenze. Es gilt unserem Nächsten, nicht nur dem Mitchristen. Es ist eine elementare Weise unserer Verkündigung, die sich an die ganze Welt richtet. Vielleicht ist das liebevolle Dienen heute so wichtig wie noch nie im konfessionslosen Ostdeutschland. Die praktische Hilfe ist eine Sprache, die Menschen verstehen, auch wenn sie den Glauben nicht teilen. Deshalb ist für viele wichtig, dass es die Diakonie gibt. Christlicher Glauben gewinnt über das Dienen Relevanz im alltäglichen Leben.
Einfach ist das nicht. Hinten anstellen kann ich mich nur, wenn ich auch selbst gesehen werde und meine Angst vorkommen darf. In Phil 2 wird beschrieben, wie Jesus sich zu uns herunter beugt, seine göttlichen Privilegien aufgibt, einer von uns wird und sogar den Tod auf sich nimmt. Und das alles aus einem dienenden und liebenden Herzen, weil wir Menschen ihm so wichtig sind.
Das Jesus Projekt am Roten Berg, einem Plattenbauviertel im Norden Erfurts, gibt es schon seit 10 Jahren. Eine Lebensgemeinschaft und freiwillig Engagierte wenden sich mit praktischer Hilfe den Menschen hier zu. Dies sind meist sozial Schwächere, Menschen auf der Straße, Kinder, Flüchtlinge und solche, die straffällig geworden sind.
Einmal haben sie für Karsten, der in einem 12-Geschosser wohnte und dessen Tod tagelang keiner bemerkt hatte, eine Trauerfeier im Foyer des Hochhauses abgehalten.
LIEBEN und DIENEN kann in den Erprobungsräumen bedeuten:
- Anwaltschaft für jene, die übersehen werden
- Zeit haben
- Für andere da sein
- Nächstenliebe um ihrer selbst willen
- Anpacken, wo nötig
- Brücken bauen, wo Vertrauen abgebrochen ist
- Die Bedürfnisse Anderer erkennen und mit ihnen gemeinsam daran arbeiten
#3 Beziehungen bilden und leben
In den Erprobungsräumen wollen wir miteinander in wertschätzenden Beziehungen leben. Wir lassen uns ein auf die Menschen um uns herum, mit ihren ganz eigenen Sichtweisen, Erfahrungen und Ideen (Haltung 1 und 2). Wir glauben, dass sie genauso Geschöpfe Gottes sind und Gott in ihrem Leben wirkt. Wir wollen nicht unsere Sichtweise anderen überstülpen, sondern den und die Andere in ihren eigenen Lebenszusammenhängen und manchmal auch Lebensverstrickungen ernstnehmen. Wir wollen ihnen Raum geben, um zu sein. Wir wollen teilhaben am Leben der Anderen – wenn sie uns teilhaben lassen wollen.
Sich ganz auf den Anderen einzulassen bedeutet nicht, die eigenen Überzeugungen oder den eigenen Glauben aufzugeben. Die Erfahrungen und Schätze des Anderen können für mich – so wie meine Erfahrungen und Schätze für den Anderen – zur Inspiration werden. Und kommen in der Beziehung beide zusammen, entsteht daraus Neues. Beziehungen zu bilden und zu leben, setzt die Offenheit voraus, sich gemeinsam auf den Weg zu machen, um vom Anderen zu lernen und Gutes bei ihm und von ihm zu erwarten und zu erfahren.
Ziel ist eine Gemeinschaft, in der sich Menschen eingebunden wissen und zugleich den Freiraum haben, sie selbst zu sein. Eine Gemeinschaft, die mich trägt und in der ich auch selbst dazu beitrage, dass andere getragen werden. Eine Gemeinschaft, in der sich alle auf Augenhöhe und ohne hidden agenda begegnen. Eine Gemeinschaft, in der alle geben und nehmen.
Beziehungen bilden kann in den Erprobungsräumen bedeuten:
- Gemeinsam Essen und Trinken
- Leben teilen
- Sich bei anderen beteiligen und andere beteiligen
- Potenziale entdecken und gemeinsam machen
- Sich selbst einbringen und sich auch von anderen inspirieren lassen
- Gott selbst als beziehungssuchenden Gott verstehen
#4 Identifikation ermöglichen
„Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz.“ (Mat 6,21). Diese Jesus-Worte weisen uns darauf hin, wie wichtig es für das eigene Leben ist, zu wissen, an was oder an wen wir unser Herz hängen. In den Erprobungsräumen wollen wir deshalb ernstnehmen, womit sich Menschen identifizieren können und Orte gestalten, an denen Menschen „von Herzen“ dabei sein können (Haltungen 1–3). Das geschieht in zweifacher Weise:
Zum einen suchen die Erprobungsräume nach Lebensräumen, in denen Menschen sie selbst sein dürfen. Es sollen Räume für diejenigen eröffnet werden, die mit den traditionellen Formen von Kirche vielleicht wenig oder gar nichts anfangen können. Nur so können wir entdecken, wie Kirche auch jenseits von einer bestimmten Kulturform aussehen kann. Die Erprobungsräume sind dabei eine Ergänzung für klassische Kirchenformen. Sie ermöglichen für Kirchenferne Identifikationsmöglichkeiten und wollen neue Gestaltungsmöglichkeiten ausprobieren, ohne gleich die ganze Kirche abbilden zu müssen.
Zum anderen laden die Erprobungsräume dazu ein, sich klar zu machen, was Menschen erfüllt und was sie antreibt, sich persönlich zu engagieren. Noch bevor wir überlegen, „Was“ oder „Wie“ etwas erreicht werden kann, muss die Frage nach dem „Warum“ beantwortet sein. Beteiligung sollte nie aus Zwang oder schlechtem Gewissen erfolgen, sondern weil das Ziel der Arbeit die Person antreibt, mit Herz und Seele dabei zu sein. Dann kann man aus dem, was man tut, mehr Energie gewinnen als man einbringt. Und es begeistert andere, die ein ähnliches Ziel teilen. Erprobungsraum wird so zu einem Inspirationsraum, an dem andere teilhaben, der zu ihrem Raum wird – und den sie auf eine Weise mitgestalten können, dass sie darin selbst Kraft gewinnen.
Viele Ehren- und Hauptamtliche in den Erprobungsräumen tun das, was sie tun, weil sie von Herzen davon überzeugt sind und nicht, weil sie daraus eigene Vorteile ziehen. Sie sind bereit, dafür auch etwas einzusetzen. Im StadtTeilLeben Gotha z.B. sind Menschen bewusst in ein Plattenbaugebiet gezogen, um mit den Menschen dort ihr Leben zu teilen, auch wenn sie woanders vielleicht ein schöneres Wohnumfeld haben könnten.
Das ist auch im Blick auf alternative Finanzquellen wichtig. Erprobungsräume in Plattenbaugebieten z.B. werden oft von kommunalen Trägern gefördert, weil diese erkennen, wie sehr die Arbeit zur heilvollen Förderung der Lebensqualität der Menschen beiträgt. Dieses Ziel verbindet beide, auch wenn sie sonst vielleicht ganz unterschiedliche Sichtweisen haben.
Identifikation kann in den Erprobungsräumen bedeuten:
- Orte entdecken und gestalten, die mich begeistern
- mit anderen meine Begeisterung teilen
- Erprobungsraum als Kraft- und Inspirationsquelle erfahren
- nach dem Warum fragen
- Regelmäßig über das eigene Warum und das Warum der Teammitglieder austauschen
- Netzwerke aufbauen zu Menschen, die sich für Ähnliches begeistern
#5 Glauben erkunden
Erprobungsräume begeben sich auf Entdeckungsreise: Sie wollen den Glauben im Alltag erkunden. Das bedeutet zweierlei:
1) Sie möchten den christlichen Glauben dort aufblitzen lassen, wo Menschen leben, arbeiten und ihre Freizeit verbringen: In den Bars, in der Nachbarschaft, in der Schule und auf dem Bahnhof.
2) Sie versuchen Glauben mit den Menschen zu entdecken, die in ihrer Biographie Glauben noch nie erfahren haben oder nie positiv erfahren konnten. Sie sprechen Menschen an, die die christliche Kultur und Sprache nicht kennen, sie suchen nach Formen von Spiritualität für religiös Unmusikalische, sie laden ein, sich Gott zuzuwenden und begleiten auf diesem Weg. Und sie machen sich selbst auf den Weg, Gott und Glauben neu zu entdecken.
Beide Dimensionen sind extrem herausfordernd. Glaube im Alltag hat in einer spezialisierten Welt mit ihren eigenen Sub-Kulturen oft keinen Platz und wirkt befremdlich. Mit Kirchenfernen „Gottesdienst“ zu feiern und Bibeltexte ins Gespräch zu bringen, ist eine Grenzüberschreitung in mehrfacher Hinsicht. Das eigene Sprechen, die Gestik, die „Liturgie“ – alles muss auf den Prüfstand. Messlatte ist hier die Lebenswelt der anderen.
Die Erprobungsräume sind ermutigt, fröhlich zu experimentieren, mutige Schritte zu wagen und sich vor allem vom Umfeld inspirieren zu lassen (Haltungen 1–4). Es gibt keine allgemeingültigen Wege, sondern überall muss individuell auf das Milieu, die eigene Persönlichkeit, die Geschichte sowie den Kontext geachtet werden.
In der Grundschule in Hettstedt gibt es einen neuen Andachtsraum. Den haben Schüler selbst gestaltet. Die Lehrerinnen und Lehrer werden ausgebildet, wie sie Andachten gestalten können. Jeden Freitag findet zum Wochenschluss ein kleiner Gottesdienst statt, den eine Klasse ausgestaltet. Wenn die Eltern ihre Kinder abholen, hat die Schulpfarrerin Zeit für Gespräche. Christen und Nicht-Christen feiern hier zusammen Gottesdienst und Glaube und Kirche verbindet sich mit ihrem Alltag.
GLAUBE ERKUNDEN kann in den Erprobungsräumen bedeuten:
- Sichtbar, aber nicht aufdringlich sein
- Von den Vorlieben und Gewohnheiten der Zielgruppe her denken
- Nicht (nur) die Christen zum Planen einbeziehen
- Sich auf neue Formen einlassen
- Sich gemeinsam auf den Weg machen, wie Glauben Ausdruck gewinnen kann
- Liturgische Formate mit der Zielgruppe entdecken und entwickeln
#6 Team und Leiterschaft gestalten
Das erste, was Jesus zu Beginn seiner Wirkungszeit getan hat, war der Aufbau eines Teams. Da gab es nicht nur die 12 Jünger, sondern eine Gruppe von Frauen und Männern, mit denen Jesus gemeinsam unterwegs war. Mit ihnen sprach er auf besondere Weise, diskutierte nächste Schritte und lebte, was er predigte.
Wir lernen: Kirche baut man am Besten in einem Team. So kann man sich gegenseitig in seinen Begabungen ergänzen, gemeinsam Weg, Verantwortung und Arbeit teilen, füreinander beten und im Alltag ermutigen und trösten. Zusammengehalten wird ein Team oder gar eine tatsächliche Lebensgemeinschaft von dem gemeinsamen Glauben (Haltung 5), dem Bemühen, einander zu tragen (Haltung 3) und dem vereinbarten Ziel (Haltung 4). Im Umgang der Mitarbeiter untereinander darf sichtbar werden, was der christliche Glaube bedeutet und bewirkt. Was wir selbst nicht leben, werden auch andere sich nicht erschließen können.
Je größer ein Team oder eine Gemeinschaft wächst, je dringender wird eine gute Teamstruktur und Organisation. Leiterschaft kann dabei ganz unterschiedliche Formen annehmen, muss aber in jedem Fall transparent kommuniziert werden. Gute Leitende haben eine starke Vision für die Berufung der Gruppe, hören auf Gott, das Team und die Menschen. Sie brauchen Offenheit für Kritik von außen und eine gute Sozialkompetenz.
Aber Vorsicht. Harmonische Teams neigen dazu, sich irgendwann selbst genug zu sein und rein aus Routine zu handeln. Der Blick nach außen, eine gute Reflexion und ein stetiges Neuausrichten auf das gemeinsame Ziel hält ein Team dynamisch und fruchtbringend.
In der Praxis unserer Erprobungsräume gibt es verschiedene Formen der Organisation. Teamarbeit wird aber von allen groß geschrieben. Dennoch liegt die Leitung immer noch häufig in der Hand von hauptamtlichen Personen. Je stärker diese als Spezialisten oder Profis erscheinen, desto weniger taugen sie als nachahmenswertes Vorbild für andere. Von ihnen erwartet man selbstverständlich Loyalität zur Kirche, denn sie werden ja von ihr dafür bezahlt. Fallen sie für ihre Aufgaben aus, sind sie oft schwer zu ersetzen.
Wer sich ehrenamtlich engagiert, hat dagegen ein Überraschungselement auf seiner Seite, zeigt man doch dadurch, dass das eigene Engagement für eine bestimmte Sache einem ausgesprochen wichtig ist (Haltung 4). In einem guten Team haben Ehrenamtliche Verantwortung, Freiraum zum Gestalten und erleben Zutrauen in ihre Fähigkeiten.
TEAM UND LEITERSCHAFT kann in den Erprobungsräumen bedeuten:
- Nicht für Projekte Menschen, sondern für Menschen Projekte suchen
- Nahbarkeit ist häufig mehr wert als reine Professionalität
- Transparente Teamstrukturen
- regelmäßige Zeiten nur für das Team einplanen
- Kultur der Wertschätzung und gegenseitigen Förderung
- Partizipation ermöglichen
- Gemeinsames Leiten, Austausch- und Feedbackkultur
#7 Kirche-sein entdecken
Die Erprobungsräume möchten neue Formen von Kirche sein. Doch was ist Kirche? In den Köpfen unserer Zeitgenossen und auch vieler Gemeindeglieder gibt es dafür feste Vorstellungen. Kirche ist ein Gebäude mit Turm, Orgel, Taufstein, Altar. Sie ist das Angebot eines wöchentlichen Sonntagsgottesdienstes mit festem Ablauf, ist die Bereitstellung hauptamtlicher Spezialisten für Taufe, Konfirmation, Hochzeit und Beerdigungen.
Schauen wir in die ersten Urkunden des christlichen Glaubens, erscheint Kirche mehr als ein Beziehungsgeschehen. Menschen lernen Jesus von Nazareth kennen, spüren, dass er mehr ist als ein gewöhnlicher Mensch und entdecken Gott auf ganz neue Weise. Sie wagen es, an die Bedeutung von Leben, Lehren, Handeln, Tod und Auferstehung Jesu auch für ihr Leben zu glauben. All diese Menschen schließen sich zusammen, um ihr Leben gemeinsam orientiert an Jesus Christus zu gestalten. Trotz aller Verschiedenheit erkennen sie sich als eine Familie Gottes und dienen einander und ihrer Umgebung. Dadurch haben sie an der Sendung Jesu in diese Welt teil und bilden die erste Kirche im Kontext ihrer Zeit. Seitdem stehen sie vor der Herausforderung, ihren persönlichen und gemeinsamen Glauben an Jesus an sich ändernden Orten, Zeiten und Lebenssituationen zu gestalten.
In unserer stark segmentierten Gesellschaft muss auch die Jesusbewegung zusammen mit ihren Adressaten immer neue Formen ausprägen (Haltung 5), um ein jeweils kultur- und zeitgemäßes Gefäß für die verschiedensten Prägungen von Menschen zu ermöglichen (Haltung 4). Dabei können die vertrauten Bilder bisherigen Kircheseins hinderlich werden, wenn man sie zur bleibenden Norm erklärt.
Auch Erprobungsräume sind Kirche und gehören zu einer größeren Bewegung. Das kann Stärkung bedeuten, aber auch Mut, sich mit anderen Formen auseinanderzusetzen und über das eigene Kirchesein nachzudenken.
Die Junge Kirche HERZSCHLAG erprobt das Kirchesein für Jugendliche in einer ländlichen Region. Jugendliche tauchen nach ihrer Konfirmation kaum im normalen Gemeindeleben auf und werden daher auch in ihrer besonderen Lebensphase wenig durch Kirche begleitet und geprägt. Das Team in Nordhausen versucht daher, Kirche in ihrer Bedeutung und Form ganz in die Lebenswelt von Jugendlichen zu bringen – dabei entstand eine überregionale Gemeinde von 14–20-Jährigen, die selbstbewusst und unkonventionell Gottesdienst feiert, betet, singt und Gemeinschaft lebt. Die Form erinnert an eine Jugendparty, aber der Inhalt ist 100% Kirche.
KIRCHE SEIN kann in den Erpobungsräumen bedeuten:
KIRCHE SEIN kann in den Erpobungsräumen bedeuten:
- Sich nicht selbst genug sein
- Mit anderen Christen und Kirchenformen in Dialog treten
- Teil einer größeren Bewegung sein
- Zur Vielfalt beitragen
- Von anderen lernen und Erfahrungen weitergeben